Die Stoffprinzessin
Barbaras Sunnplatzl
Direkt in der Nähe der Feuerwehr von Rettenschöss wohnt Barbara Grünbacher-Huber. Sie ist begeisterte Schneiderin und wandelte vor einigen Jahren die „Not“ in eine Tugend: „Ich verlor meinen Job bei Marco Polo in Stephanskirchen. So kam es, dass ich mich für die Selbstständigkeit entschied.“ Die Tirolerin liebt Stoffe und sie genießt es, ihr Wissen weiterzugeben. Deshalb bietet sie in der kühleren Jahreszeit Kurse für das Nähen von Dirndln an. Die 48-Jährige erzählt, dass es allen Teilnehmerinnen sehr viel Freude bereitet, ein solches Kleid aus den eigenen Händen erwachsen zu lassen.
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Wenn Barbara über diese Kleider spricht, strahlt ihr Herz: „Ein Dirndl ist etwas Wunderschönes. Es gefällt jeder Frau. Jede ist mit ihm schön angezogen, kommt sauber und aufrecht daher.“
Deshalb hat sie sich vor einigen Jahren aufgemacht, um das Dirndlnähen weiterzugeben. Mittlerweile erfreuen sich ihre Abendkurse großer Beliebtheit. Viele kommen auch öfters: „Gelegentlich habe ich schon gesagt, dass die Teilnehmerin ohnehin schon alles kann. Sie kommt aber dann trotzdem, weil das gemeinsame Nähen so viel Spaß macht.“ Auch wenn jede Einzelne für sich arbeitet, so erwachsen immer wieder neue Ideen, die dann das nächste Dirndl noch einen Tick außergewöhnlicher werden lassen.
Bayern als Dirndlland
„Ich finde es schön, weil jede Teilnehmerin ihr individuell eigenes Kleid schneidert. Nichts kommt von der Stange. Das fängt schon während der Stoffauswahl an.“ Barbara informiert und berät über die verschiedenen Stoffe und Qualitäten. So können die Frauen etwas qualitativ Hochwertiges erstehen. Bei der Kaiserwinklerin sind die Hobbyschneiderinnen sehr gut aufgehoben.
Barbaras Faszination für Stoffe und was „Frau“ daraus machen kann, entwickelte sich bereits im Kindesalter. Das kleine Mädel sammelte mit Begeisterung Stoffreste, die dann mit einer uralten Nähmaschine, deren Pedale sie noch mit eigener Kraft betreiben musste, bearbeitet wurden. „Irgendwann kam der Zeitpunkt, wo ich nicht mehr in die Schule gehen, sondern Schneiderin lernen wollte“, erinnert sie sich. Also wurde die Niederndorferin zur Wahlbayerin, weil sie diese Ausbildung nur im zwei Kilometer entfernten Kiefersfelden absolvieren konnte. Sie war so begeistert, dass sie unbedingt bis zum 3. Lehrjahr weitermachen wollte. Auf diese Weise verschlug es Babara nach Rosenheim. „In Bayern“, sagt sie, „hat fast jede Frau ein Dirndl. Bei uns ist das nicht so.“
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Lustigerweise war es in den 1960er-Jahren, als das Dirndl und die Lederhosen für die Masse in Bayern Einzug hielten, andersherum. Das Tirolerland wurde von den West- und Norddeutschen als Urlaubsziel entdeckt. Schnell entwickelte der gemeine Tourist eine Begeisterung für die traditionelle Bekleidung der Einheimischen und Dirndl und Lederhose wurden zum begehrten Urlaubssouvenir.
Die Österreicher:innen lehrten ihre bayerischen Kollegen die heimische Fertigung und so konnten auch in Deutschland immer größere Betriebe entstehen. Die Bayern wurden ab Mitte der 80er-Jahre von einem regelrechten Dirndl- und Lederhosenfieber infiziert. Plötzlich war es Mode, diese Kleidung auf Volksfesten zu tragen und jeder wollte ein eigenes Dirndl oder eine Lederhose haben. Als Folge dessen gibt es heute das Dirndl als Massenware, die aber leider qualitativ nichts mehr mit den hier beschriebenen kleinen Kunstwerken zu tun haben.
Echte Handarbeit
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Zurück zu Barbara und ihrem Sunnplatzl, das sie so getauft hat, weil ihr Wohn- und Arbeitsort stets vom goldenen Lichtspender beschienen wird. Wenn die Damen hier zusammenkommen, begeistern sie sich für echte Handarbeit. „Wenn ein solches Dirndl entsteht, dann brauche ich schon zwischen 30 und 60 Stunden, bis es fertig ist“, erklärt die Schneiderin. Sie fertigt selbstverständlich derartige Kleider – wie auch andere Dinge – auf Maß an: „Jeder, der sich für so etwas interessiert, kann bei mir anrufen. Ich mache nur Termine nach telefonischer Rücksprache.“
Während der letzten Jahre ist die Maßschneiderei schwieriger geworden, da auch Touristen mit einem kleineren Budget haushalten müssen. Deshalb hat Barbara ihr Sortiment ausgeweitet und verkauft jetzt auch normale Kleider, Blusen, Hemden, Kissen und Taschen. So findet man auch mit kleinerem Geldbeutel ein wunderschönes Kaiserwinkler Souvenir, das man mit Stolz in der Heimat vorzeigen kann.
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Uli Kaiser, 51, freier Journalist für Sport, Wirtschaft und Kultur, hat in seinem Leben zahlreiche Leistungssportler hautnah begleitet. Er genießt das Leben in der Natur und saugt jede kleine Nuance auf. Schwimmen, Radfahren, Wandern und Nordic Walking gehören zu seinen sportlichen Betätigungsfeldern. Ansonsten macht er sein Hobby zum Beruf. Er genießt Regionen zu entdecken und zu beschreiben, wie Menschen leben und welche Gedanken sie haben.
1 Kommentar
Barbara Grünbacher-Huber
11.12.2023, 17:04
Hallo lieber Uli, Vielen lieben Dank für den tollen Artikel im Kaiserwinklmagazin. Du hast meine Gedanken und mein Tun in treffende Worte gefasst. Liebe Grüße aus dem Kaiserwinkl Barbara Grünbacher-Huber