Immer einen Besuch wert
Das Kaiserwinkler Egascht-Fest'l
Der Frühling lässt die Natur des Kaiserwinkls explodieren. Ich rieche diese wunderbare frische Luft. Sie bringt mir die verschiedenen Gerüche des blumigen Erwachens: Überall öffnen sich die Knospen und die bunte Farbenpracht lockt die Menschen hinaus ins Freie. Da und dort weht noch ein frischer Bergwind durch Walchsee, als ich mich auf den Weg zum Egascht-Fest'l mache.
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Das Fest der ersten Mahd ist für die Bauern schon etwas Besonders. Endlich gibt es wieder frisches Gras und der Duft des Frischgemähten steigt mir angenehm in die Nase. Ich kann mir die Freude der Bauern vorstellen, wenn nach einer langen, kühlen Winterzeit und den Vorbereitungen auf die Blüte- und spätere Erntezeit zum ersten Mal eingefahren wird. Deshalb hatten die Kaiserwinkler vor 25 Jahren die Idee, ein Fest zu gestalten. Vor einem Vierteljahrhundert war das Stell-Dich-Ein auf dem Fischerangerl im Walchseer Ortszentrum noch „obdachlos“ und Petrus machte sich des Öfteren einen Spaß daraus, Wasser vom Himmel zu schicken. Doch irgendwann trotzten die munteren Organisatoren vom Tourismusverband den Fluten und stellten ein Zelt auf. Und siehe da: Der Regenmacher verlor seinen Spaß am Nassmachen.
Klein, fein, einfach gemütlich
Mir gefällt es hier immer wieder. Alles ist klein, fein und einfach gemütlich. Ich laufe schon vor dem Bieranstich herum und erfreue mich am Handwerkermarkt. Gleich zu Beginn des Festplatzes sitzen drei ältere Damen. Sie zeigen die Kunst des Klöppelhandwerkes. Die Frauen erschaffen unter anderem Spitzen. Das ist eine sehr aufwändige Arbeit, wie mir Mathilde Dieser erzählt. Sie lässt gerade eine Spitze für die heimische Kirche entstehen. Ich kann gut erkennen, dass das alles sehr filigran über die Bühne geht und sehr lange dauert. Die Klöppel sind kleine Hölzer, an denen die Fäden hängen. „Ordnung ist hier ganz wichtig“, sagt Mathilde und arbeitet weiter.
Ich denke mir, die Spitze schaut aber schon vollendet aus und frage: „Kannt die heit fertig werden?“ Da lacht Mathilde und meint, dass die Spitze 2,40 Meter lang wird und die Arbeit sicherlich noch viele Wochen dauern wird. An dem kleinen Stück, das ich gerade vor mir sehe, hat die rüstige Dame schon drei Wochen gearbeitet.
Ein paar Meter weiter sitzt der Anderl aus Berchtesgaden. Er schnitzt schöne Edelweiß: „Ich habe damit aus Spaß begonnen.", erzählt er. "Wie es funktioniert, habe ich aus dem Internet. Mir macht das total Spaß und wenn ich das mache, gibt mir das auch eine gewisse Ruhe.“ Holz und Mensch werden zu einer Einheit. Alles, was aus dem Herzen kommt, findet hier den Weg zu den richtigen Abnehmern. Handwerkskunst verbindet eben.
Ich genieße dieses Fest. Ich mag es, wenn alles überschaubar ist. Umrahmt von den Bergen Tirols, umgarnt von der wärmenden Sonne und verwöhnt von den Kasspatzn, die natürlich nicht fehlen dürfen, freue ich mich nun auf den Trachtenumzug.
Großer Bahnhof für wunderbare Tradition
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Der Pfingstsonntag hat wunderbares Wetter im Gepäck. Deshalb ist das Festgelände schon sehr bald voll. Ich merke, dass sich alle auf den Trachtenumzug freuen, während aus dem Zelt schwungvolle Musik der heimischen Blaskapelle schallt. Kurz nach 13 Uhr ist es dann so weit: Ein lauter Kanonenschuss kündigt den Gästen an, dass der Zug jetzt bereit zum Abmarsch ist.
Sehr viele begeisterte Einheimische und Urlaubsgäste stehen Spalier für das bunte Treiben. Vor der Bühne machen die Gruppen dann Halt, um ihr Können zu zeigen. Ich freue mich darauf. Es ist schon interessant, wie sich die Tracht nur ein bisschen mehr als 100 Kilometer weiter verändert. Die Freunde aus dem Oberland sind gut an den gelben Hüten mit den Federn zu erkennen. Sie kommen aus der Innsbrucker Gegend.
Besonders herzig sind die Kinder, die begeistert ihre Tänze aufführen. Da dreht sich das Dirndl und sein Rock schwebt im Wind der Bewegung. Auch die Burschen haben sichtlich Spaß. Ein warmer Regen aus freundlich-begeistertem Applaus prasselt auf die Künstler hernieder. Sie alle leben mit der Tradition und halten somit die heimische Geschichte aufrecht.
So eine Lederhose war einst ein praktisches Arbeitsgerät und mehr oder weniger unzerstörbar. Die Herrscherhäuser Bayerns und Österreichs entdeckten die Lederhose und das Trachtenkleid, was nicht mit einem Dirndl zu verwechseln ist. Die Damentracht ist schon etwas Besonderes und wird mit ganz viel Stolz getragen. Vor mir marschieren gerade ältere Damen vorbei, die ihr Kassettl präsentieren. Dieses dunkle Festtagsgewand ist ein wahres Meisterwerk der Schneiderkunst, mit vielen wertvollen Einzelteilen wie einer goldenen Spange, die schon mal einige Hundert Euro kosten kann. Wenn das komplette Kassetl neu gefertigt werden müsste, läge der Preis bei mehreren Tausend Euro. Die älteren Damen aus Walchsee marschieren geraden Schrittes vorbei. Eine sieht meine Kamera und lacht hinein. So haben an diesem Tag alle ihre Freude.
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Es gibt so viel zu beobachten während des Festzuges: Die Fahnenschwinger von der Jungbauernschaft zeigen ihre eher seltene Kunst, es wird geschuhplattlt und auch die Goaßlschnalzer aus Bayern sind mit von der Partie. Sie durchdringen mit ihren Peitschen sogar die Schallmauer. Darum knallt´s recht heftig.
Es ist ein wunderbarer Tag in Walchsee, an dem viele Leute zusammenkommen, manche treffen sich hier zum ersten Mal. Doch die meisten von ihnen sprechen beim gemütlichen Beisammensitzen schon vom nächsten Jahr – wenn sie wieder zurück nach Walchsee kommen werden, um beim Fest der ersten Mahd dabeizusein.
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Uli Kaiser, 51, freier Journalist für Sport, Wirtschaft und Kultur, hat in seinem Leben zahlreiche Leistungssportler hautnah begleitet. Er genießt das Leben in der Natur und saugt jede kleine Nuance auf. Schwimmen, Radfahren, Wandern und Nordic Walking gehören zu seinen sportlichen Betätigungsfeldern. Ansonsten macht er sein Hobby zum Beruf. Er genießt Regionen zu entdecken und zu beschreiben, wie Menschen leben und welche Gedanken sie haben.