Sportliche Tour beim Nachbarn
Der Blick vom König zum Kaiser
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Roland Aigner, 50. Der Kommunikationsprofi hadert immer noch damit, dass er sich nicht für eine Leistungssport-Karriere entschieden hat – daher ist er mit vollem Einsatz in seinem Unternehmen unterwegs. Zum Ausgleich gibt’s die Familie und jede Menge Sport – vor allem Outdoor: Biken, Running, Wandern, Klettersteig, Sportklettern und Bergtouren im Sommer sowie im Winter Alpin-Ski, Skitouren und Langlaufen. Mittlerweile zählt nicht mehr nur die Leistung, sondern das Gesamterlebnis – im Einklang mit der Natur, seiner Familie und dem Blick für das Schöne.
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Die Region Kaiserwinkl ist einfach majestätisch – dominiert vom prächtigen Kaisergebirge mit dem Wilden und Zahmen Kaiser umrahmt sie eine unglaublich vielseitige Landschaft mit dem Walchsee als wassersportliches Zentrum.
Dennoch führt uns, das sind heute die beste Begleiterin von allen, mein Kollege Andy Gruhle von Gipfelfieber und mich, der Weg zur „kleinen Majestät“ – dem Geigelstein im benachbarten bayerischen Schleching. Er wird auch der „Blumenberg“ oder der „König der Chiemgauer Alpen“ genannt. Nach einer kurzen Fahrt durch die Schmugglerschlucht Klobenstein, die noch im ruhigen, morgendlichen Schatten liegt, starten wir unsere Tour beim Parkplatz Geigelsteinlift in Ettenhausen.
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An die Zeit des alpinen Schilaufs erinnern hier, neben dem verlassenen Skistüberl mit „bayerischen Tapas“, nur noch die Liftsäulen und -seile, die uns heute mehrmals als Orientierung dienen werden. Die Schneise der Abfahrt ist nur mehr schwer zu erkennen, lässt aber erahnen, dass dies im Winter auch eine lohnende, wenn auch teilweise sehr anspruchsvolle Skitour wäre.
Wir starten sehr früh am Morgen mit den ersten warmen Sonnenstrahlen dieses schönen Maitages. Vor allem, um der Hitze des Tages bei unserer sehr sportlichen, weil langen Umrundung des Geigelsteins mit dem Aufstieg Richtung Haidenholzalm, möglichst zu entgehen.
Die ersten eineinhalb Stunden führen uns meditativ über eine Forststraße nach oben. Einmal öffnet sich der Blick auf die unglaublich imposante Silhouette des Geigelsteins von der Schlechinger Seite, der im warmen Morgenlicht liegt und lässt die Vorfreude auf diesen exponierten Gipfel steigen. Immer wieder lichtet sich der Wald in Richtung Achental und gibt den Blick bis zum Chiemsee frei.
Wir erfreuen uns an der vollen Kraft des Frühlings, der mit den Sonnenstrahlen der letzten warmen Tage der Natur nun ihren kräftigen, natürlich grünen Anstrich verliehen hat. Einmal mehr bestaunen wir die unglaublichen Nuancen dieser dominierenden Naturfarbe, die sich in jeder Pflanze anders zeigt.
Bergwandern ist sehr meditativ, vor allem, wenn man sich auf ein gleichmäßiges Tempo einlässt, die Wegstrecke ein leichtes Gehen zulässt und man dann die Sinne für die überwältigende Vielfalt der Natur öffnet. Die Farben der Pflanzen, Bäume, Blumen oder das Rauschen der Blätter, der Ruf der ersten Bergdohlen, der Duft der Bergkräuter.
Nach dieser besinnlichen Einstimmung erreichen wir das Almengebiet der Haidenholzalm. Hier erinnert das „Russenkreuz“ an einen Vorfall während des Krieges und das schmiedeeiserne Kreuz mit kyrillischer Inschrift berührt uns einerseits als Mahnmal, andererseits als hoffnungsvolles Zeichen der Versöhnung.
Nach einer kurzen Andacht steigen wir auf einem schmalen Steig steil nach oben und verlassen die Waldzone. Wir sehen rechts, zwischen Latschenfeldern, bereits unser erstes Zwischenziel, den Weitlahnerkopf, und steigen zum Gipfelkreuz auf. Ein sehr sanfter, lieblicher, unaufregender, aber deshalb auch schöner und ruhiger Gipfel mit Blick auf die Kampenwand und den Geigelstein – unser heutiges Hauptziel.
Unser Weg führt uns entlang des Kammes auf die Rossalm und weiter Richtung Geigelstein über schöne Almwiesen mit herrlichen Ausblicken ins Tiroler Inntal.
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Die letzten einhundert Höhenmeter zum Gipfel fordern noch einmal Konzentration und einige Reserven, denn der Steig windet sich steil, zwischen Latschenfeldern hindurch, nach oben. Doch die Anstrengung lohnt sich: Der Gipfel des Geigelsteins, mit seinen 1.808 Höhenmetern, eröffnet einen faszinierenden Rundumblick. Es wäre jetzt vermessen zu sagen, dass das Schönste am Geigelstein der Blick auf das Kaisergebirge ist, aber beeindruckend ist er allemal. Hinter dem Kaisergebirge erstreckt sich der Alpenhauptkamm von Osten über das ganze Tiroler Inntal nach Westen. Wenn wir uns umdrehen, dann sehen wir die Ausläufer der Chiemgauer Alpen mit Blick auf den Chiemsee (zumindest einem Teil davon) Richtung Norden.
Auf dem Gipfel rasten wir, jausnen und erholen uns, bevor wir den Abstieg über die Südflanke des Geigelsteins in eine Scharte hinab antreten. Auch hier sind die ersten hundert bis hundertfünfzig Höhenmeter durchaus anspruchsvoll. Direkt an der Scharte zweigt ein Steig Richtung Wuhrsteinalm ab und ab hier ist der Weg wesentlich einfacher und führt uns über weitläufige Almen auf einem gut befestigten Almweg zurück nach Ettenhausen. Die letzte Stunde wandern wir auf einer Forststraße durch den Wald hinunter zum Parkplatz Geigelsteinlift und genießen nun die klare Waldluft und freuen uns über den Schatten, den uns die Bäume spenden. Waldness pur, wie der neue Trend so schön heißt.
Eine sehr lange, aber technisch nicht wirklich anspruchsvolle Tour liegt hinter uns und wir drei sind uns einig: Der „kleine König“ ist durchaus majestätisch.
Auch wenn die Strecke keine technischen Herausforderungen stellt, so ist doch eine gründliche Tourenplanung erforderlich, hier vor allem in Bezug auf das Wetter (der Abstieg vom Gipfel bei Regen sollte möglichst vermieden werden, wenn man nicht absolut trittsicher ist). Bei einer Tour mit sechs Stunden Gehzeit ist es auch wichtig, ausreichend Wasser (mindestens zwei Liter) mitzunehmen, da die Einkehrmöglichkeiten beschränkt sind und die Frischwasserquellen unterhalb von Almgebieten nur mit Vorsicht und Erfahrung zu benutzen sind. Als Schuh empfiehlt sich ein Bergschuh der Kategorie A/B oder B – bei mir war es dieses Mal mein zuverlässiger Meindl AirRevolution – und natürlich ein Rucksack mit der Grundausstattung fürs Wandern im alpinen Bereich. Hat man das alles berücksichtigt, so ist der „kleine König“ unbedingt eine Audienz wert.
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