Stille im Herzen
Eine Dorfrunde in Rettenschöss

Uli Kaiser, 51, freier Journalist für Sport, Wirtschaft und Kultur, hat in seinem Leben zahlreiche Leistungssportler hautnah begleitet. Er genießt das Leben in der Natur und saugt jede kleine Nuance auf. Schwimmen, Radfahren, Wandern und Nordic Walking gehören zu seinen sportlichen Betätigungsfeldern. Ansonsten macht er sein Hobby zum Beruf. Er genießt Regionen zu entdecken und zu beschreiben, wie Menschen leben und welche Gedanken sie haben.
Es ist ein trüber Tag, als ich mich auf den Weg in den Kaiserwinkl mache. Auf der bayerischen Seite kann sich Petrus noch nicht entscheiden, ob er der Sonne mehr Vorzug schenken mag oder nicht. So ziehen die dunklen Regenwolken hin und her. Gleich nach Reit im Winkl tauche ich ein in den Kaiserwinkl. Vor Ort ist es auch nicht besonders hell, aber die Atmosphäre ist trotzdem sehr angenehm. Noch ist es ruhig. Alles grünt. Es ist wie im Paradies.
Ich fahre heute nach Rettenschöss, um dort die Dorfrunde zu gehen. Obwohl es der kleinste Ort im Kaiserwinkl ist, dehnt er sich flächenmäßig ziemlich aus. So kommt dann doch eine fast sechs Kilometer lange Runde zusammen. Ich bin gespannt, was mich erwartet.
Grüne Wiesen und dunkle Wolken
Vom Hauptparkplatz, auf dem ich alleine stehe, geht´s los. Es nieselt. Ich mache mich auf den Weg. Rettenschöss mag zwar klein sein, aber es zieht sich ganz erstaunlich in die Länge.
Gut fünf Minuten dauert es, bis ich am Gemeindeamt bin. Auf dem Weg dorthin genieße ich den Blick in die Berge. Es ist ein Idyll. Überall grüne Wiesen und dunkle Wolken, die tief drinhängen. Immer wieder höre ich die Regentropfen, die auf den Blättern und auf dem Boden landen. Dieser Klang hat etwas Beruhigendes und viel Sanftes. Angekommen im „Ortzentrum“ sehe ich auf dem kleinen Hügel eine Kapelle. Sie steht sehr exponiert und damit dem Himmelvater recht nahe. Nach einem kurzen Blick in das Kleinod, beginne ich offiziell die Runde.
Umgeben von Natur
Rettenschöss: das sind wenig Häuser, weite Landschaften und viel Wald. Nach wenigen Metern bin ich umgeben von wunderbar grünen Bäumen. Jeder Wald übt auf die Menschen eine besondere Faszination aus. Innen herrscht ein besonderes Mikroklima, das im wahrsten Sinne der Worte zum Auftanken einlädt. Der Wald schenkt unseren Zellen mehr Sauerstoff, als wir außerhalb bekommen. Damit erhält unser Körper eine Art Frischzellenkur.
Viel schöner ist, dass ich im ersten Teil der Wanderung so richtig abschalten kann. Der Geruch der Natur steigt mir in die Nase und befreit mich. Die Bäume umgeben mich wie ein Daunenbett mit perfekter Klimaanlage. Waldspaziergänge fördern in der Tat auch die Kreativität. Das fanden Forscher heraus. Aber heute muss ich nicht kreativ sein, sondern mich einfach nur fallen lassen. Der Vorteil des weniger prickelnden Wetters ist, dass keine Menschenseele unterwegs ist.
Weiter geht's
Aus der Ferne höre ich einen Bach plätschern. Ich kann förmlich das erfrischende Bergwasser spüren, das den Hang hinuntersprudelt. Zudem erfreue ich mich am schönen Lichtspiel, das mir die Blätter der Bäume bieten. Nach den schönen zwanzig Minuten im Wald, bin ich wieder in der „normalen“ Welt gelandet. Ich beobachte eine Fischzucht, die gerade neu gestaltet wird. Jetzt wird´s immer heller.
So kommt es, dass ich immer öfter stehen bleibe, um in die Weite zu blicken. Wie alt mag diese wohl sein? Viele Milliarden alt ist das Gestein, auf dem ich hier wandere. Einst befand sich hier ein Gletscher, heute freuen wir uns über fruchtbares, reines Land, das wir alle hegen und pflegen sollten. Gerade die kleinteilige bäuerliche Struktur trägt zum Erhalt dieser wundervollen Landschaft bei.
Die eleganten Kunstwerke der Natur
Langsam hellt sich der Himmel immer mehr auf. Auf meiner gesamten Wanderung sind mir vielleicht drei Autos und ebenso viele Wanderer entgegengekommen. An einem Abzweig entdecke ich eine uralte Holzhütte, die ihren Dienst getan hat. Die Natur holt sich gerade ihr angestammtes Fleckerl zurück. Aus allen Löchern sprießt es grün heraus. Die Natur erschafft eben doch die elegantesten Kunstwerke. Langsam neigt sich der Sparziergang dem Ende. Auf einem Abhang steht ein altes Haus aus Stein. Auch aus dessen Fenster grüßt ein Baum. Das schaut irgendwie lustig aus. Die letzten Meter geben einige schöne Blicke auf das Kaisergebirge frei.