Trachtenschneiderin mit Leib und Seele
Kasettl-Geschichten
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Uli Kaiser, 51, freier Journalist für Sport, Wirtschaft und Kultur, hat in seinem Leben zahlreiche Leistungssportler hautnah begleitet. Er genießt das Leben in der Natur und saugt jede kleine Nuance auf. Schwimmen, Radfahren, Wandern und Nordic Walking gehören zu seinen sportlichen Betätigungsfeldern. Ansonsten macht er sein Hobby zum Beruf. Er genießt Regionen zu entdecken und zu beschreiben, wie Menschen leben und welche Gedanken sie haben.
Viktoria Mühlberger ist Trachtenschneiderin mit Leib und Seele: „Ich habe in meinem Berufsleben nichts anderes gemacht. Es ist immer wieder schön, weil du mit vielen Menschen zusammenkommst. Hernach weißt du, was du geschaffen hast, weil das Kleidungsstück von Anfang bis Ende durch deine Finger gewandert ist.“ Es ist die Nähe und auch das Vertrauen zu ihren Kunden, die später etwas in Händen halten, was gefühlt für die Ewigkeit ist. Ewigkeit mag für den geneigten Leser etwas weit hergeholt erscheinen, dabei spiegelt dieser Begriff etwas wider, was manchmal sogar gleichbedeutend mit tiefen familiären Wurzeln sein kann.
Viktorias Begeisterung steckt an, wenn sie über die Festtagstracht der Frauen berichtet, die sie so gerne bearbeitet: das „Kasettl“. Wir sprechen von einem sehr hochwertigen Gewand, das oftmals Generationen überdauert. Die Schneiderin aus Schwendt ist kaum zu bremsen, wenn sie zu erzählen beginnt: „Das Kasettl neu zu gestalten ist ziemlich teuer. Da kostet alleine schon ein neues Tuch um die 200 Euro und eine goldene Haarspange liegt bei 400 Euro. Das trägst du nur besonderen Anlässen und dann sitzen die „Weiberleit“ auch in der Kirche in der ersten Reihe. Sowas macht vor allem dann Spaß, wenn es mehrere Frauen in in einem Ort sind, die dieses besondere Tracht tragen.“
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Besondere Emotionen
Die baldige Rentnerin, die seit mehr als 40 Jahren Maßanfertigungen zaubert, bekommt glänzende Augen, als sie von einer Frau erzählt, die mit dem Kasettl der Oma zu ihr gekommen ist. Diese trug das Kleid anlässlich ihrer Hochzeit. Die Kundin hatte es wiederum zu ihrem 40. Geburtstag geschenkt bekommen: „Sie kommt aus einer trachtenverbundenen Familie. Das Kleid war farblich wunderbar zusammengestellt. Am Schluss hatte ich wirklich Tränen in Augen, als es fertig war.“
Wenn Viktoria ein derartiges Erbstück neu ausrichtet, tut sie das mit viel Gespür. Die Nähte werden sehr vorsichtig gelöst. Die „Künstlerin“ arbeitet sich im wahrsten Sinne des Wortes Stich für Stich durch das Kleid. „Ich brauche dafür eine absolut freie Hand. Du kannst nicht sagen, wie lange du wirklich brauchst. Aber 30 bis 40 Stunden musst du locker einrechnen.
Oftmals ist der Kittel zu kurz, weil die Frauen früher kleiner waren. Normalerweise brauchst du eine neue Schürze. Ich arbeite hier mit Wollstoffen und auch mit schöner Seide. Manche Bereiche musst du neu gestalten oder aufgrund den Verschleißes austauschen, was aber auch früher so war.“ Sie erzählt von einer Bäuerin, die ein besonderes Kasettl mit nach Hause nehmen durfte. Es setzt sich aus Teilen der Kleider der Tante, der Schwägerin und sogar der Schwiegermutter zusammen.
Der neue Lebensabschnitt
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Dieses besondere Kleidungsstück bindet Emotionen und Erinnerungen an liebe Menschen, die die Trägerin durchs Leben begleitet haben oder das noch tun. „Es wird ausschließlich für die jeweilige Frau umgearbeitet, sodass es normalerweise auch niemandem sonst passt. Ich liebe es, maßgeschneiderte Trachten anzufertigen. Ein Kunde hat mal zu mir gesagt, dass er eine Arbeit schon als etwas Besonderes empfindet. Schließlich zieht er sich vor mir aus.“
Die Künstlerin in der Verarbeitung edler Stoffe sieht im Kasettl eine besondere Bedeutung für die Frau: „Oft ist so, dass wir eines zwischen 40 und 50 Jahren bekommen. Meist sind die Kinder dann schon größer und brauchen die Mama nicht mehr so sehr, sodass sie sich dann mehr um sich selbst kümmern kann.“
Das Auf und Ab der Tracht
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Im 17. Jahrhundert demonstrierte die Tracht vornehmlich den Familienstand. „Wenn Frauen geheiratet haben, durften sie einen Hut tragen. Daher stammt auch der Spruch „unter die Haube gekommen“, lacht die Schneiderin aus Schwendt. Zeitweise fungierte die Tracht als Trennungsmerkmal zwischen den Eliten und Bauern. Darauf legten vor allem die etwas „höher“ Geborenen Wert.
Im Tiroler Unterland war anhand der aufwendig gestalteten Kleidungsstücke die finanzielle Potenz des Trägers/der Trägerin zu erkennen. Die Frau eines Hofbesitzers konnte somit nach außen demonstrieren, ob sie ein großes Haus oder große Felder besaß. Als sich die Bauern gegen die Obrigkeiten auflehnten, schlief das Tragen des edlen Gewandes ein. Heute lassen sich viele traditionelle Vereine wieder sehr bewusst auf die Tracht ein. Um die richtige Zusammenstellung wählen zu können, lassen sie sich auch von Kennern beraten.